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  • Michaela Boehme

Schlechte Jobaussichten für Chinas Universitätsabsolventen


Jobmesse in Xiamen
© Guancha | Jobmesse in Xiamen

 

Wang Kaiwen: Über 10 Millionen frischgebackene Hochschulabsolventen auf Jobsuche in einem der schlechtesten Arbeitsmärkte seit Jahrzehnten: wir haben mit einigen von ihnen gesprochen [1]

Übersetzt von Michaela Böhme

 

Anmerkungen zum Text


Überall liest man es im chinesischen Internet: Frischgebackene Absolventinnen und Absolventen sehen sich mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert, der nicht mehr zu halten scheint, was versprochen wurde.


Eine Kohorte von über 10 Millionen Universitätsabgängern drängt diesen Sommer auf einen der schlechtesten Arbeitsmärkte seit Jahrzehnten. Die chinesische Wirtschaft schwächelt, nicht nur aufgrund der strengen Corona-Beschränkungen. Bereits 2021 hatten Regulierungsbestrebungen der Regierung im Technologie- und Bildungssektor sowie ein kräftiger Abschwung auf den Immobilienmärkten für Unruhe gesorgt, zehntausende Stellen wurden abgebaut.


Für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger von der Universität bedeutet dies, dass der Konkurrenzkampf um gutbezahlte, hochqualifizierte Jobs weiter steigt. Ein Drittel aller Universitätsabgänger, so kann man zuweilen lesen, sei auch kurz vor dem Abschluss noch ohne Job.


Für die Jugend das Landes ist das ein Novum. Bislang waren es junge Chinesinnen und Chinesen gewöhnt, dass harte Arbeit mit wirtschaftlichem Aufstieg und materiellem Wohlstand belohnt wird. Wohl kaum eine Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine so schnelle und stetige Verbesserung des eigenen Lebensstandards gesehen wie die urbane Mittelschicht Chinas.

Der chinesischen Führung ist bewusst, dass längerfristige Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt die vielgepriesene soziale Stabilität des Riesenlandes gefährden könnten – und dies in einem politisch sensiblen Jahr, in dem sich Partei- und Regierungschef Xi Jinping ein drittes Mal im Amt bestätigen lassen will.


Die Stabilisierung des Arbeitsmarkts hat somit oberste Priorität. So vergibt die Regierung zum Beispiel Zuschüsse an Unternehmen, die frischgebackene Absolventinnen und Absolventen einstellen. Uniabgänger, die ein eigenes Unternehmen gründen wollen, werden finanziell gefördert. Und auch Universitäten und Lehrkräfte sind vom Staat aufgefordert, ihren Abgängern bei der Stellensuche aktiv unter die Arme zu greifen.


Ein hier vorgestelltes Interview des Nachrichtenportals Guancha mit drei Absolventen zeigt, mit welchen Herausforderungen junge Chinesinnen und Chinesen heute auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind und wie sie sich gezwungen sehen, ihre Erwartungen und Ansprüche herunterzuschrauben. Dabei wird auch sichtbar, dass für viele junge Menschen Stabilität die oberste Priorität hat. Waren die Jahre zuvor noch die großen Tech-Unternehmen wie Alibaba und Tencent ganz oben auf der Wunschliste, sehnen sich heute immer mehr Absolventinnen und Absolventen nach einem sichern Job in einem Staatsunternehmen oder im öffentlichen Dienst.



 

"Über 10 Millionen frisch gebackene Hochschulabsolventen auf Jobsuche in einem der schlechtesten Arbeitsmärkte seit Jahrzehnten: wir haben mit einigen von ihnen gesprochen"

von Wang Kaiwen


“Ich habe mich entschieden, noch eine Weile zu studieren um die schlechte Zeit zu überbrücken. Wer hätte gedacht, dass der Jobmarkt zwei Jahre später noch schlechter ist.“ – so ein Absolvent einer Pekinger Top-Uni im Gespräch mit unserem Reporter.


Jedes Frühjahr ist die Rede von einer schwierigen Situation auf dem Stellenmarkt, doch dieses Jahr trifft es junge Absolventinnen und Absolventen besonders hart. Grund dafür sind eine Reihe von Faktoren.


Laut Angaben des Ministeriums für Bildung stieg 2022 die Zahl der Hochschulabsolventen im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 Millionen. Insgesamt drängen damit dieses Jahr 10,8 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt – ein absoluter Rekord.


Auch die Zahl der Bewerbungen auf einen Masterstudienplatz soll dieses Jahr auf den Rekordwert von 4,6 Millionen steigen. Ausgehend von einer Aufnahmequote von ca. 1,1 Millionen, werden dieses Jahr so noch zusätzlich über 3 Millionen abgelehnte Bewerberinnen und Bewerber in den Arbeitsmarkt drängen bzw. sich ein zweites oder drittes Mal an der Zulassungsprüfung zum Masterstudium beteiligen.


Auf der anderen Seite haben wir es noch immer mit der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf den Stellenmarkt zu tun. Die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor unsicher, während geringere Wachstum bei vielen Unternehmen auch zu geringerer Schaffung neuer Arbeitsplätze führt.


Für junge Absolventinnen und Absolventen hingegen haben Schulschließungen und Lockdowns den Prozess der Arbeitssuche gehörig durcheinander gebracht. Vielerorts waren Bewerbungsgespräche und Prüfungen wie die zur Beamtenlaufbahn ausgesetzt.


Wie schwer ist es für junge Menschen heute, einen guten Job zu finden?


Zum Ende der Bewerbungssaison im Frühjahr haben wir mit mehreren frischgebackenen Absolventinnen und Absolventen gesprochen. Einige haben die Hoffnung auf einen hochbezahlten Job in einer der großen Metropolen aufgegeben und trauern besseren Jobangeboten aus dem Herbst hinterher. Andere sind jetzt vor allem nach einer Position im Beamtenverhältnis aus, welche Stabilität verspricht, stoßen jedoch bei der Jobsuche auf Geschlechterdiskriminierung. Und dann gibt es noch Rückkehrer, die feststellen müssen, dass ein Master aus dem Ausland mittlerweile nicht mehr viel wert ist und eine „996-Arbeitswoche“ [2] unumgänglich, um die eigenen Berufsziele zu erreichen.


Hier sind ihre Geschichten.


„Wenn ich die Wahl hätte, würde ich das Jobangebot vom Herbst annehmen“
Xiao Dai, Bachelorabsolventin aus Nanjing

Ich habe an einer Universität mittleren Rankings Internationale Wirtschaft und Handel studiert. Während des Studiums habe ich auch Nebenjobs und Praktika absolviert, darunter einen Job im Online-Sales. Meine Leistungen waren recht gut, und ich habe dort auch ein Zertifikat erhalten. Aber ich habe das Gefühl, dass mir diese beiden Erfahrungen bei der Jobsuche wenig nützen.


Ich mag es, jeden Tag mit neuen Aufgaben konfrontiert zu werden, wie z.B. Benutzer- oder Produktmanagement, Marketing oder Vertrieb. Ein reiner Bürojob würde mich langweilen. Mit niemandem zu interagieren, den ganzen Tag nicht zu sprechen … damit würde ich mich nicht wohl fühlen.


Städte wie Peking oder Shanghai berücksichtige ich in meinen Überlegungen gar nicht, lieber möchte ich in eine Stadt der zweiten oder dritten Reihe. Mit einem Gehalt über fünftausend Yuan kommt man dort locker aus. Da ich frisch von der Uni komme und keine Erfahrung habe, ist ein kleineres Gehalt für mich ok, solange ich damit Miete und Lebenshaltungskosten abdecken kann.


Ich hoffe auf ein etwas größeres Unternehmen, vorzugsweise mehr als einhundert Personen. Kleinere Start-up-Unternehmen sind manchmal nicht der beste Ort für einen Absolventen, dort die Berufskarriere zu starten.


Letztes Jahr im Herbst habe ich mich bereits beworben und hatte fünf Jobangebote bekommen. Am Ende habe ich jedoch allen abgesagt.


Damals war ich noch in meinem Abschlussjahr und dachte, dass ich ziemlich gute Chancen hätte. Obwohl ich kurz vor dem Abschluss stand, fühlte sich das Arbeitsleben noch ganz weit weg an. Außerdem wollten die meisten der Firmen, dass ich bereits im November oder Dezember mit einem Vorpraktikum bei ihnen einsteige. Ich habe gezögert, weil ich meine letzten Winterferien noch einmal richtig genießen wollte, bevor das Arbeitsleben beginnt.


Im Frühjahr ist es ganz offensichtlich schwieriger, einen Job zu finden. Es kommen nicht nur die vielen Absolventen hinzu, die die Aufnahmeprüfung in einen Master-Studiengang nicht bestanden haben, auch das Stellenangebot ist schmaler, verglichen mit dem Herbst. Im Herbst bekommt man auf die meisten Bewerbungen eine Antwort. Im Frühjahr gehen sie in einem Meer von Bewerbungsunterlagen unter.


Seit März habe ich mich bei bestimmt hundert Unternehmen beworben. Manchen sagen direkt ab, andere machen sich nicht mal diese Mühe. Von ca. der Hälfte aller kontaktierten Unternehmen habe ich eine Rückmeldung erhalten.


Bei zehn Unternehmen wurde ich dann zum Bewerbungsgespräch eingeladen, schlussendlich hatte ich zwei Jobangebote in der Hand. Das eine bei einem Unternehmen aus dem Einzelhandel habe ich abgelehnt. Da muss man oft schwere Sachen tragen, zum Beispiel während der Inventur, das macht sich für Frauen nicht so gut.


Jetzt habe ich noch ein Angebot eines Unternehmens in der Hand, dass Elektroautos produziert. Die Position wäre im Vertrieb, aber die Konditionen entsprechen nicht ganz meinen Vorstellungen. Laut Aussage des Unternehmens machen Provisionen vierzig Prozent des Gehalts aus. In den ersten drei Monaten soll zwar das komplette Gehalt ausgezahlt werden, aber danach ist es leistungsgebunden.


Ich habe mal im Internet recherchiert: Das Unternehmen ist neu und die Stelle, auf die ich mich beworben habe, existiert erst seit zwei Jahren, da gibt es nicht viele Erfahrungswerte. Ich kann mir vorstellen, dass es als neue Marke auf dem Markt nicht so einfach ist, die Vertriebsvorgaben zu erfüllen und ein volles Gehalt zu bekommen. Daher schaue ich mich noch nach anderen Möglichkeiten um.


Wenn ich eine Stelle finde, die mir richtig gut gefällt und wo das Gehalt stimmt, könnte ich mir auch eine 996 Arbeitswoche vorstellen. Ich bin noch recht jung und finde es in Ordnung, da richtig ranzuklotzen. Im Unternehmen werde ich ohnehin keine 20 Jahre bleiben.

In meinem Studiengang im Bereich internationaler Handel ist es noch verhältnismäßig einfach, einen Job zu finden.


Von den Kommilitonen und Kommilitoninnen des Jahrgangs über mir sind die meisten zu Unternehmen aus Bereichen wie Verkauf, Bildung, Industrie oder in die Automobilbranche gegangen. Eine kleinere Gruppe ist auch bei großen Staatsbetrieben untergekommen. Eigentlich kann man sagen, dass es mit meinem Abschluss nicht besonders schwierig ist, einen Job zu finden.


Doch dieses Jahr habe ich das Gefühl, dass es für frischgebackene Absolventen schwieriger ist, einen Job zu finden. Zum einen ist die Zahl der Berufseinsteiger dieses Jahr relativ hoch. Zum anderen hat die Pandemie bei vielen die Jobsuche gehörig durcheinandergebracht.


Im Februar, als die pandemische Lage in Suzhou ziemlich ernst war, sollte ich ein Vorstellungsgespräch bei einer Bank haben. Die Bank hat zunächst darauf bestanden, dass ich persönliche vorbeikomme. Schließlich ist es dank des Einsatzes der Personalabteilung gelungen, dass Interview Online durchzuführen. Aber in vielen Fällen, wenn die Personalabteilung nicht wirklich bemüht sind und persönliche Treffen aufgrund der Pandemie nicht erlaubt, dann fällt das Interview einfach ins Wasser.


Aktuell hält sich etwa die Hälfte meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen mit kleinen Jobs in Startup-Buden in der Nähe ihres Heimatorts über Wasser. Bei manchen läuft es so schlecht, dass am Ende nur noch zwei Gründer und zwei Neueinsteiger übrig sind.


Könnte ich mich noch einmal entscheiden, würde ich das Angebot aus dem Herbst annehmen. Damals waren die Konditionen immerhin noch etwa besser und die Wahlmöglichkeiten größer als jetzt.


“Ich habe mich entschieden, noch eine Weile zu studieren um die schlechte Zeit zu überbrücken. Wer hätte gedacht, dass der Jobmarkt zwei Jahre später noch schlechter ist.“
Xie Liu, Absolvent mit zwei Bachabschlüssen von zwei Pekinger Top-Universitäten

Ich habe einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften von einer Top-Universität in Peking. Pünktlich zum Abschluss meines Studiums kam dann die Pandemie. Nachdem ich mich erfolglos um einen Platz in einem Masterprogramm beworben hatte, habe ich beschlossen, mir einen Job zu suchen.


Meine Anforderungen waren nicht besonders hoch. Ich hatte bei vier, fünf Unternehmen ein Jobinterview, die meisten von ihnen Privatfirmen und mit einem Einsteigergehalt, dass unter dem früherer Jahrgänge lag. Meine Eltern waren unter diesen Bedingungen nicht so erpicht darauf, dass ich einen Job annehme und fanden, dass ich dann doch lieber noch zwei Jahre länger Student sein sollte.


Im Juni der Juli 2020 hatte die Regierung gerade eine neue Regelung eingeführt, die es erlaubt, einen zweiten Bachelorabschluss zu machen. Man kann sich auch nebenbei weiterhin für die Zulassung zu einem Masterprogramm bewerben. Mir hat das ganz gut gefallen, also habe ich beschlossen, noch einen zweiten Bachelor in Accounting oben drauf zu setzen.


Meine Eltern und ich waren der Meinung, dass es nicht schaden kann, noch einen artverwandten Bachelorabschluss dranzuhängen und die schlechten Zeiten zu überbrücken. Mit dem Ergebnis, dass der Jobmarkt zwei Jahre später noch schlechter ist als 2020.


Nachdem ich dieses Jahr zwei Mal an der Aufnahmeprüfung für ein Masterprogramm gescheitert bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir einen Job zu suchen.


Ich bin ziemlich interessiert an einer Beamtenstelle, das verspricht Stabilität und Sicherheit. Vielleicht etwas in der Buchhaltung, das passt zu meinem zweiten Bachelorabschluss, oder etwas mit Human Ressources oder im Gehaltswesen.


Mein Wunschgehalt liegt bei achttausend Yuan im Monat. Aber wichtiger als das Gehalt ist mir genügend Freizeit zu haben und nicht allzu weit zur Arbeit pendeln zu müssen. Ich bin kein Karrieremensch. Mir ist es wichtiger, Zeit für mein Leben zu haben, zu reisen, in Läden zu stöbern …


Bei einem inhaltlich richtig tollen Job, würde ich auch ein niedrigeres Gehalt in Erwägung ziehen, vielleicht drei oder viertausend Yuan. Nur regelmäßig Überstunden möchte ich nicht machen, es sei denn, es liegen ganz besondere Umstände vor.


Mittlerweile sind die Beamtenprüfungen bei einigen Staatsunternehmen wieder im Gange – das ist immerhin ein kleiner Schritt nach vor verglichen mit vor zwei Jahren. Ein Angebot habe ich jedoch noch immer nicht erhalten. Solange ich den Anforderungen genüge, werde ich auch weiterhin versuchen, in die Beamtenlaufbahn einzusteigen. Ich habe bereits an mehreren schriftlichen Prüfungen teilgenommen, aber noch sind die Ergebnisse nicht raus.


Zur Zeit bin ich noch immer dabei, nach Unternehmen zu suchen und meinen Lebenslauf zu versenden, aber viele meiner Bewerbungen bleiben unbeantwortet. Dazu kommt, dass viele Unternehmen mit dem doppelten Bachelorabschluss nicht vertraut sind und ich ihnen manchmal die neue Regelung erst erklären muss. Insgesamt läuft es nicht rund.


Die Jobsuche hat mir auch gezeigt, dass Frauen es heute wirklich schwer haben. In meinem zweiten Bachelorstudiengang gab es ein paar Jungs mit richtig schlechten Noten. Auch in ihrem ersten Bachelor waren sie nur Mittelmaß, aber sie sind die mit den meisten Jobangeboten.


Ich gehörte zu den besten meines Jahrgangs, und meinen ersten Abschluss habe ich von einer Eliteuni. Ich kenne einige Kommilitoninnen, die noch besser waren als ich, aber denen geht es genauso. Da weiß man nicht mehr, was man sagen soll.


Die Freundin eines Verwandten von mir arbeitet in der Personalabteilung eines Fortune 500 Unternehmens. Sie erzählt, dass viele Unternehmen männliche Bewerber vorziehen, selbst wenn sie nur eine durchschnittliche Ausbildung haben und über keine Praktikumserfahrung verfügen. Von Bewerberinnen mit hervorragenden Noten, Praktikumserfahrung und den besten Referenzen schauen sich manche Arbeitgeber den Lebenslauf noch nicht mal an. Manchmal laden Unternehmen nur deshalb Bewerberinnen zu einem Bewerbungsgespräch ein, um ihre KPIs zu erfüllen, doch am Ende werden die Frauen ohne Begründung abserviert.


Meine Eltern meinen, mit meiner Ausbildung kann man immer einen Job finden. Wie zufrieden man damit ist, sei eine andere Sache, sagen sie. Dem stimme ich nur zur Hälfte zu.


Meine Ansprüche habe ich verglichen mit vor zwei Jahren bereits gesenkt. Was das Gehalt betrifft, hätte ich früher gesagt, dass ich zwischen sieben und achttausend Yuan verdienen sollte – mit meinem universitären Hintergrund. Heute wäre ich mit vier oder fünftausend, vielleicht mit drei oder viertausend Yuan zufrieden. Das andere ist die Unternehmensgröße. Früher wollte ich unbedingt in einen großen Konzern. Heute würde mir ein Unternehmen mit ein paar Hundert Mitarbeitern reichen, solange es sich um ein Staatsunternehmen oder eine Einrichtung des öffentlichen Dienstes handelt.


Doch bislang habe ich noch kein sicheres Jobangebot in der Tasche.


Das Ganze hat auch mit dem allgemeinen Umfeld zu tun, meine ich. Die Pandemie ist bereits im dritten Jahr. Wenn ich meine Standards nicht senke, wird es jemand anders tun. Oder aber ich senke meine Standards, aber andere sind noch prinzipienloser, um dem Markt gerecht zu werden. Doch am Ende finden wir alle keine Stelle, ganz zu schweigen von einer Stelle, die uns erfüllt.


[…]


Das Elend auf dem Jobmarkt hat natürlich mit der Pandemie zu tun. Die Menschen sind in Angst versetzt, und den Unternehmen brechen die Profite weg. Wenn es nicht mehr so viel Arbeit gibt, braucht man natürlich auch weniger Leute einstellen. Früher gab es immer Menschen, die gekündigt haben oder sich nach neuen Möglichkeiten umgeschaut haben. Seit der Pandemie kleben alle an ihrem Job, daher gibt es natürlich weniger freie Stellen.


Viele Arbeitnehmer haben auch aufgrund der Pandemie ihre Ansprüche gesenkt, die Unternehmen können jetzt immer mehr verlangen. Es ist schon verrückt, dass jetzt junge Menschen, die in den USA einen Masterabschluss gemacht haben, an der Rezeption oder am Bankschalter arbeiten. Und an den Kantinen von Staatsunternehmen werden von Bewerbern hervorragende akademische Leistungen erwartet.


Auch meine Jobsuche wurde von der Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen. Im März war ich zu einem Jobinterview eingeladen worden. Kurze Zeit später tauchten in Peking die ersten Covid-Fälle auf. Seitdem arbeiten alle im Home-Office, und mein Interview wurde bis jetzt immer wieder verschoben.


[…]


“Heute bringt ein Abschluss aus dem Ausland keine Vorteile mehr“
Xiao Niu, Masterabschluss an einer britischen Universität

Ich habe an einer Eliteuni im Nordwesten Chinas einen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Danach habe ich an einer Top-Uni in England einen Master in Management drangehängt.


Ich bin im September 2021 aus England nach Hause zurückgekehrt und habe gleich mit der Jobsuche begonnen. Ich habe zunächst ein weites Netz ausgeworfen. Ich war mir noch nicht im Klaren darüber, was ich genau machen wollte, Hauptsache bei einem großen Unternehmen.


Beim Gehalt kommt es meiner Meinung nach darauf an, ob man in einer der großen Städte wie Peking, Shanghai, Guangzhou und Shenzhen lebt. Grundsätzlich liegt meine Erwartung bei etwa zehntausend Yuan. Darunter ist es ziemlich schwierig, in diesen Metropolen über die Runden zu kommen.


Mein erstes Angebot war eigentlich ganz gut. Zwar war es keines der Big Tech Unternehmen wie Tencent, aber ein bekanntes Traditionsunternehmen. Doch am Ende ging mir die Stelle zu sehr Richtung Marketing und Sales, sodass ich mich schlussendlich dagegen entschieden habe.


Damals hatte ich auch ein Angebot von einem anderen Unternehmen, was mir sehr gut gefallen hat. Ich sollte dort im Januar anfangen, aber zur der Zeit war die Corona-Pandemie in Xi’an gerade auf dem Höchststand und ich hatte keine Möglichkeit, den Job rechtzeitig anzufangen. Diese Möglichkeit habe ich verpasst. So blieb mir nur, bis zur Einstellungsphase im Frühjahr zu warten.


Im Frühjahr habe ich mich dann gezielt auf Stellen im Bereich meiner Masterqualifikation beworben. Ich habe online alle Unternehmen durchforstet, die in Frage kommen, und mich dann beworben, egal ob diese bekannt waren oder nicht. Ich war der Meinung, dass man jetzt alles probieren müsse.


Während der Einstellungsphase im Frühjahr habe ich pro Tag ungefähr fünf bis sechs Bewerbungen verschickt. Insgesamt habe ich mich bei über einhundert Unternehmen beworben, doch davon haben mich nur fünfzehn zu einem persönlichen Bewerbungsgespräche eingeladen.


Am Ende hatte ich vier Angebote in der Tasche und habe mich schlussendlich für einen namhaften Elektronikhersteller entschieden. Der Job ist in Shenzhen, dort zehntausend Yuan Gehalt rechnen.

Für das Unternehmen und die Position, die ich jetzt gewählt habe, vergebe ich 8 von 10 Punkten. Ich bin wirklich recht zufrieden.


Mit mehr als 10 Millionen Absolventen in diesem Jahr dürfte der Konkurrenzdruck bei der Jobsuche zunehmen. Den Erfahrungen meiner Klassenkameraden und Freunde nach zu urteilen, hatten diejenigen mit ähnlichen Bildungshintergründen wie ich jedoch keine Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Ich konnte mit verfolgen, wie die meisten von ihnen bei guten Unternehmen gelandet sind und habe Druck verspürt, das Tempo meiner Jobsuche zu erhöhen und härter zu arbeiten.


Viele meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen aus meinem Masterstudiengang in England sind zu internationalen Unternehmen wie Procter & Gamble oder L'Oreal gegangen. Um ehrlich zu sein, ich beneide sie darum, denn diese Unternehmen zahlen ihren Angestellten sagenhaft hohe Sozialleistungen und ein umfassendes Weiterbildungssystem, was mich persönlich sehr anspricht.


Vielleicht entspricht mein Profil noch nicht ganz den Anforderungen dieser Unternehmen, noch nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch mit der Personalabteilung hat es gereicht. Wahrscheinlich muss ich da meine Ansprüche korrigieren und mir selbst realistische Ziele setzen.


In diesen Unternehmen konkurrieren nur die Besten der Besten, der Wettbewerb ist extrem hart. Vielleicht fehlen dir ein paar Kompetenzen, du hast nicht genügend oder nicht die richtige Art von Arbeitserfahrung, und schon bist du draußen. Für mich war es daher sehr gut, meine eigenen Pläne zu machen und meinen eigenen Weg zu gehen.


Ob man als Absolventin, die aus dem Ausland nach China zurückkehrt, bei der Stellensuche punkten kann, hängt meiner Meinung nach vom Ranking der ausländischen Universität ab. Ist das Ranking nicht besonders hoch, ist die Personalabteilung wahrscheinlich der Meinung, dass die Uni vielleicht nicht ganz so gut ist. Es gibt auch HR-Abteilungen, die sich mit ausländischen Universitäten nicht so auskennen. Denen muss man dann erst erklären, was das für eine Uni war, an der man studiert hat, wie sie im internationalen Vergleich abschneidet, wo ihre Schwerpunkte liegen usw.


Auch wenn das Ranking der ausländischen Uni im Vergleich zu unseren einheimischen Top-Universitäten recht hoch ist, bringt das nicht automatisch einen Vorteil, vor allem wenn es sich nur um einen Masterabschluss handelt. Manche denken vielleicht, dass ein einjähriger Master aus dem Ausland nicht so viel Wert sein kann wie ein mehrjähriger Master in China. Oder es wird gesagt, dass man aufgrund der Pandemie sowieso nur von zu Hause aus hat studieren können und vielleicht gar nicht wirklich im Ausland war.


Daher denke ich, dass das Auslandsstudium in den letzten Jahren an Wert verloren hat und die Absolventen jetzt mehr auf ihre persönlichen Kenntnisse angewiesen sind.


Ich denke, für uns Uniabsolventen bedeutet das, dass wir jetzt noch mehr Bewerbungen schreiben müssen. Es ist zunehmend wichtiger zu wissen, was man selber will, und nicht nur danach zu schauen, ob es sich bei einer Stelle um ein Fortune 500 Unternehmen handelt. Man sollte sich alle Optionen offen halten. Auch ein Vorstellunggespräch bei einem kleinen Unternehmen kann eine gute Gelegenheit sein, Erfahrungen zu sammeln.


Ich denke auch, dass es wichtig ist, systematisch vorzugehen. Auf meine Interviews habe ich mich immer akribisch vorbereitet, einschließlich Verantwortlichkeiten, Positionen, Unternehmenskultur, Geschäftsentwicklung usw., und die Notizen aus den Interviews dann alle zur besseren Vorbereitung in meinem Computer zusammengetragen.

Was die 996-Arbeitskultur angeht, stört mich das persönlich nicht so. Ich halte die Gelegenheit, in einem guten Unternehmen zu arbeiten für wichtiger, als mich wegen Überstunden mit der Personalabteilung zu streiten und dann am Ende vielleicht die Stelle zu verlieren. Das ist es nicht wert.


Der Wandel in Land und Unternehmen ist heute so rasant. Selbst wenn man in einem ausländischen Unternehmen arbeitet oder es mit Geschäftspartnern aus dem Ausland zu tun hat, alle müssen über verschiedene Zeitzonen hinweg arbeiten, da lässt es sich fast nicht vermeiden, außerhalb der normalen Arbeitszeit arbeiten zu müssen.



 

[1] 王恺雯, 1076万高校毕业生的“最难就业季”,我们和几位应届生聊了聊, veröffentlicht online am 23.04.2022 auf dem Nachrichtenportal Guancha (观察) unter https://www.guancha.cn/politics/2022_04_23_636481_1.shtml


[2] Die "996-Arbeitswoche" bezeichnet eine Arbeitskultur aus dem chinesischen Technologiesektor, bei der Angestellte von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends arbeiten - und dies an sechs Tagen der Woche (siehe auch diesen Beitrag von Xu Longjiang).



 


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